Die Haftung des Vorstands/Geschäftsführenden Direktors einer Aktiengesellschaft (AG) bzw. einer deutschen Societas Europaea (SE – auch Europäische Aktiengesellschaft genannt) rückt in den Blick des Aktionärs und außenstehender Dritter. Der Vorstand muss seine grundlegenden Rechte und seine Pflichten kennen.

Rechte und Pflichten des Vorstands

Nach § 93 Abs.1 Satz 1 AktG hat der Vorstand bzw. der geschäftsführende Direktor die Aktiengesellschaft (AG) bzw. die deutsche Societas Europaea (SE) mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu leiten. Im Einzelnen muss der Vorstand für seine Entscheidungen beachten:

Bindung des Unternehmens an Recht und Gesetz

Der Vorstand hat dafür Sorge zu tragen, dass das Unternehmen sich rechtstreu verhält und dazu alle relevanten Rechtspflichten einhält (Legalitätspflicht des Vorstands). Es sind grundsätzlich alle Gesetze zu befolgen. Die Legalitätspflicht umfasst neben „traditionellen Gesetzen“ auch neue spezifische „CSR-Gesetze“ (Common Reporting Standard), die mitunter strukturell neuartige Regelungsmechanismen in Form von verbindlichen „CSR-Sorgfaltspflichten“ enthalten.

Pflichten aus Gesetz, Satzung und Anstellungsvertrag

Der Vorstand hat sich gegenüber dem Unternehmen an das Gesetz, an die Satzung und an den Anstellungsvertrag zu halten. Dabei hat der Vorstand

  • den Unternehmensgegenstand im Auge zu behalten; er darf nur den in der Satzung festgelegten Unternehmensgegenstand verfolgen; § 82 Abs. 2 AktG
  • seine Bindung an den Gesellschaftszweck (unmittelbare oder mittelbare Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse mit dem Ziel der Gewinnerzielung) zu respektieren (gewerbliche oder gemeinnützige Tätigkeit der AG)
  • ein Überwachungs- und Risikomanagementsystem einzurichten, das zumindest den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkennt (siehe auch die Bestandssicherungspflicht nach § 91 Abs. 2 AktG)
  • die Geschäftspolitik und Unternehmensplanung (Budgetplanung für das laufende und das folgende Geschäftsjahr – Bestandssicherungspflicht, allgemeine Rentabilitätsverpflichtung und angemessene Informationsgrundlage), festzulegen,
  • das Geschäftsmodell des Unternehmens zu beschreiben, was Auskunft darüber gibt, was das Unternehmen unternimmt, wie es dabei vorgeht und welchen Zweck es verfolgt (organisatorische Struktur des Konzerns, Segmente, Standorte, Produkte und Dienstleistungen, Geschäftsprozesse, Absatzmärkte und externe Einflussfaktoren für das Geschäft, soziale und ökologische Aspekte, Nachhaltigkeitsaspekte);
  • seine Geschäftsstrategie und seine Vorstellungen zur langfristigen Entwicklung der Gesellschaft festzulegen und dem Aufsichtsrat zur Kenntnis zu bringen, §§ 87a, 120a AktG.

Anstellungsvertragliche Regelungen

Der Vorstand hat seine Pflichten aus dem Anstellungsvertrag einzuhalten. Zustimmungsvorbehalte sind beispielsweise zu respektieren. Allerdings müssen sich die entsprechenden anstellungsvertraglichen Regelungen in dem von Gesetz und Satzung vorgegebenen Rahmen halten. Insbesondere dürfen sie nicht in Widerspruch zu dem gesetzlichen Prinzip der eigenverantwortlichen – und damit weisungsfreien – Leitung des Unternehmens durch den Vorstand stehen, § 76 Abs. 1 AktG.

Unternehmerisches Ermessen und Business Judgement Rule

Neben der Legalitätspflicht steht dem Vorstand grundsätzlich ein weites unternehmerisches Ermessen zu. Eine Pflichtverletzung liegt insoweit grundsätzlich erst dann vor, wenn die Grenzen eines verantwortungsbewussten, am Unternehmenswohl orientierten und auf sorgfältig ermittelter Entscheidungsgrundlage beruhenden Handelns deutlich überschritten sind bzw. die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt werden. Eine unternehmerische Tätigkeit ist durch das bewusste Eingehen von geschäftlichen Risiken und das Risiko von Fehleinschätzungen geprägt § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG.

Ein pflichtgemäßes Handeln des Vorstands wird unwiderleglich vermutet, wenn er bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Hält der Vorstand diesen Entscheidungsprozess aber nicht ein, kommt er nicht in den Genuss der unwiderleglichen Vermutung pflichtgemäßen Verhaltens. Eine Pflichtwidrigkeit des Vorstands muss in diesem Fall jedoch noch nicht vorliegen.

Unternehmerische Entscheidung

Eine unternehmerische Entscheidung liegt vor, wenn die Rechtsordnung dem Vorstand keine zwingende Handlungsvorgabe macht, er also rechtlich zwischen verschiedenen Handlungsalternativen auswählen darf. Ein unbewusstes Unterlassen – bzw. „ignorante Untätigkeit“ – ist daher keine unternehmerische Entscheidung. Die unwiderlegliche Vermutung pflichtgemäßen Handelns nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ist von vornherein nicht eröffnet.

Angemessene Information

Eine angemessene Informationsgrundlage erfordert nach Auffassung des BGH, dass der Geschäftsleiter „in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren rechtlichen und tatsächlichen Informationen auszuschöpfen“ habe. Allerdings muss der Vorstand nicht sämtliche denkbaren Erkenntnisquellen ausschöpfen; entscheidend ist, was in der konkreten Situation angesichts von Zeitbedarf, Kosten und Nutzen weiterer Informationsgewinnung angemessen ist.

„Hinsichtlich des Maßes der Informationspflichten gilt: Um Informationspflichten zu genügen, müssen grundsätzlich in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausgeschöpft werden, um auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen (BGH, NZG 2008, 751). Die konkrete Entscheidungssituation ist danach der Bezugsrahmen des Ausmaßes der Informationspflichten. Dementsprechend ist es notwendig, aber auch ausreichend, dass sich der Vorstand eine unter Berücksichtigung des Faktors Zeit und unter Abwägung der Kosten und Nutzen weiterer Informationsgewinnung „angemessene“ Tatsachenbasis verschafft …; je nach Bedeutung der Entscheidung ist eine breitere Informationsbasis rechtlich zu fordern …. Dem Vorstand steht danach letztlich ein dem konkreten Einzelfall angepasster Spielraum zu, den Informationsbedarf zur Vorbereitung seiner unternehmerischen Entscheidung selbst abzuwägen …. Ausschlaggebend ist dabei nicht, ob die Entscheidung tatsächlich auf der Basis angemessener Informationen erfolgte und dem Wohle der Gesellschaft diente, sondern es reicht aus, dass der Vorstand dies vernünftigerweise annehmen durfte …. Die Beurteilung des Vorstands im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung muss aus der Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters vertretbar erscheinen („vernünftigerweise“).“ BGH, Urt. v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15

Das OLG Köln, Urteil vom 01.10.2019 – 18 U 34/18 vertiefte die Anforderungen an angemessene Informationen:

Der Vorstand muss in angemessenem Umfang auch relevante soziale und ökologische Aspekte und die sich daraus ergebenden Chancen und Risiken ermitteln und seiner unternehmerischen Entscheidung zugrunde legen.

Angemessene Informationen verlangen eine ausreichende Tatsachengrundlage für die zu treffende Entscheidung. Maßgeblich ist, ob der handelnde Vorstand die Informationsgrundlage als angemessen ansehen durfte.

Der Vorstand ist zwar grundsätzlich verpflichtet, alle ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen auszuschöpfen. Jedoch darf und muss er auch zwischen Kosten und Nutzen einer ausgiebigen Tatsachenermittlung abwägen. Gerade in der geschäftlichen Praxis ist keine Situation vorstellbar, in der alle Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft werden können, sondern es bedarf stets einer gewissen Auswahl und Beschränkung.

Die Schaffung einer „Grundlage angemessener Information“ bedingt demgemäß wiederum eine der hauptsächlich erforderlichen unternehmerischen Entscheidung vergleichbare, wenn auch vorgelagerte Beurteilung von Kosten und Nutzen der weiteren Informationsbeschaffung. Dabei kann vor allem die Eilbedürftigkeit einer Entscheidung eine erhebliche Rolle spielen, so dass sich der Vorstand unter bestimmten Umständen auf eine summarische Prüfung beschränken kann.

Auch wenn die angemessene Informationsgrundlage ein unbestimmter Rechtsbegriff ist und daher auf den ersten Blick in vollem Umfang der richterlichen Kontrolle unterliegt, muss berücksichtigt werden, dass die Angemessenheit sich immer nach dem konkreten Einzelfall richtet und darüber hinaus eine ex-ante Beurteilung erfordert, insbesondere bei der Prüfung, was der Vorstand vernünftigerweise im Sinne eines ordentlichen Geschäftsleiters annehmen durfte.

Die Forderung nach der Ausschöpfung aller verfügbaren Informationsquellen ist deshalb nicht so zu interpretieren, dass alle nach einer abstrakten ex-post-Betrachtung erhältlichen Informationen verwendet werden müssen. Dies führte zu für den Geschäftsverkehr allzu starren, mit Rücksicht auf die Umstände des konkreten Einzelfalles nicht praktikablen Vorgaben.

Demnach besteht auch hinsichtlich des Umfangs der Informationseinholung ein am konkreten Einzelfall und der Praktikabilität orientierter Spielraum. An ein sachkundiges „professionelles“ Vorstandsmitglied sind entsprechend der allgemeinen zivilrechtlichen Dogmatik höhere Anforderungen zu stellen als an nicht mit dem jeweiligen Fachgebiet vertraute Vorstandsmitglieder.

Bei erkennbar fehlendem eigenem Sachverstand muss das betroffene Vorstandsmitglied sich gegebenenfalls mündlich die Informationen erläutern lassen, um selbst zu einer Einschätzung zu gelangen. Eine routinemäßige Anforderung von Sachverständigengutachten oder Marktanalysen ist daher keineswegs erforderlich; vielmehr greift auch hier der Grundgedanke der Business Judgement Rule hinsichtlich der Beurteilung ein, welche Informationen sinnvollerweise für eine Entscheidung nötig sind.

Je nach Bedeutung der Entscheidung wird daher eine mehr oder weniger breite Informationsbasis rechtlich gefordert sein, die zudem auch danach differieren kann, ob es sich um eine Entscheidung des Gesamtvorstands oder nur im einzelnen Ressort handelt. So wird bei strategischen Entscheidungen grundsätzlich eine breite Informationsgrundlage zu fordern sein.

Die Informationsbeschaffung kann nach den allgemeinen Grundsätzen delegiert werden, sodass sich die ursprüngliche Pflicht in eine Überwachungspflicht der nachgeordneten Ebenen wandelt.

Externe Ratings können hier hilfreich und müssen auch eingeholt werden, wenn es sich um risikoreiche Investitionsentscheidungen handelt. Allerdings darf ein Vorstand auf derart externe Bewertungen nicht ohne weiteres vertrauen. Insbesondere muss sichergestellt werden, dass hier nicht abstrakte, schematische Bewertungen übernommen werden, sondern dass der konkrete Einzelfall eingehend und sorgfältig geprüft wird.

Je nach Risikogröße kann es daher sogar erforderlich sein, eine eigene interne Abteilung mit der Plausibilitätskontrolle einer eingeholten externen Bewertung zu beauftragen. Diese Kriterien gelten sinngemäß allgemein für die Notwendigkeit der Einschaltung Dritter und die Verlässlichkeit von Auskünften interner Abteilungen.

Wohl der Gesellschaft

Ein Handeln zum Wohl der Gesellschaft liegt vor, wenn die Entscheidung der langfristigen Ertragsstärkung und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und seiner Produkte oder Dienstleistungen dient. Das ist dann nicht mehr der Fall, wenn der Vorstand das mit der unternehmerischen Entscheidung verbundene Risiko in völlig unverantwortlicher Weise falsch beurteilt hat. Nach wohl herrschender Meinung darf der Vorstand bei seiner Ermessensausübung sowohl die Interessen der Aktionäre als auch der Arbeitnehmer und der Allgemeinheit berücksichtigen. Divergierende Interessen muss er dabei zu einem praktischen Ausgleich bringen. Eine bestimmte Rangfolge der verschiedenen Interessen ist ihm dabei nicht vorgegeben. Solange er die (finanziellen) Interessen der Aktionäre angemessen berücksichtigt, darf er den Interessen anderer Stakeholder im Einzelfall den Vorrang einräumen.

Thüringen, August 2020

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