Aufsichtsrat Kenntnis und Erfahrung

Rechtliche Grundlagen der Aufsichtsratsfunktion

Der Aufsichtsrat ist bei eingetragenen Genossenschaften (eG) – und damit auch bei landwirtschaftlichen Genossenschaften – ein gesetzlich vorgeschriebenes Organ. Die maßgeblichen Regeln finden sich im Genossenschaftsgesetz (GenG)

Für alle größeren Genossenschaften – wozu die ostdeutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften zählen – ist ein Aufsichtsrat verpflichtend. Als rechtlicher Rahmen gilt neben dem GenG insbesondere die jeweilige Satzung der Genossenschaft. Das GenG schreibt einen Mindestinhalt der Satzung vor (z.B. Regelungen zu Organen, Wahlen, Amtszeiten).

Auch wenn Genossenschaften nicht dem Aktiengesetz unterfallen, können allgemeine Prinzipien guter Unternehmensführung sinngemäß gelten. Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) richtet sich zwar primär an börsennotierte Aktiengesellschaften, dient aber auch nicht kapitalmarktorientierten Unternehmen als Orientierung.

Viele Empfehlungen des Kodex – etwa zu Zusammensetzung, Unabhängigkeit, Kenntnisse und Erfahrungen, Persönlicher Einsatz, Eigenverantwortung und Effizienz des Aufsichtsrats – können auf landwirtschaftliche Genossenschaften übertragen werden.

In der heutigen Zeit gibt es in diesem Kontext auch rechtliche Auseinandersetzungen, etwa um die Vermögensrechte ausgeschiedener Mitglieder. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste und wird wiederholt korrigierend eingreifen, um eine faire Vermögensauseinandersetzung sicherzustellen.

Größe und Zusammensetzung des Aufsichtsrats (DCGK Grundsatz 11)

Nach dem Genossenschaftsgesetz besteht der Aufsichtsrat mindestens aus drei Mitgliedern. Die konkrete Größe kann in der Satzung festgelegt werden – häufig abhängig von der Mitgliederzahl oder Unternehmensgröße. In landwirtschaftlichen Genossenschaften sieht die Satzung meist einen größeren Aufsichtsrat vor, um die Mitgliederstruktur angemessen abzubilden. Eine Besonderheit im Genossenschaftsrecht ist, dass grundsätzlich alle Aufsichtsratsmitglieder Genossenschaftsmitglieder sein müssen (GenG § 9 Abs.2).

Erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen der Aufsichtsratsmitglieder erforderlich

Unabhängig von der genauen Zahl verlangt der DCGK in Grundsatz 11, dass der Aufsichtsrat einer Gesellschaft “so zusammengesetzt, dass seine Mitglieder insgesamt über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen.“ Übertragen auf die Genossenschaft bedeutet dies, dass das Gremium als Ganzes kompetent und vielseitig sein soll. Insbesondere sollten landwirtschaftliche Genossenschaften darauf achten, dass sowohl betriebswirtschaftliches Know-how (z.B. Finanz- und Rechnungswesen) als auch branchenspezifisches Wissen (Landwirtschaft, Agrarmärkte, Technik) im Aufsichtsrat vertreten ist.

Neben Fachwissen sind weitere Aspekte wie unabhängige Mitglieder und verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen. Bei Genossenschaften sind „unabhängige“ Aufsichtsräte im Sinne des Kodex (d.h. frei von Interessenkonflikten, insbesondere keine engen Beziehungen zum Vorstand oder einem beherrschenden Mitglied) gefordert.

Eine vielfältig zusammengesetzte und qualifizierte Aufsichtsratsrunde verbessert die Kontroll- und Beratungsfunktion im Interesse der Genossenschaft, insbesondere im Interesse der Genossenschaftsmitglieder.

Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder (Wahlverfahren)

Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder obliegt der Generalversammlung der Genossen (Mitgliederversammlung). Dies ist gesetzlich vorgegeben und spiegelt das demokratische Prinzip der Genossenschaft wider. Die  die Mitglieder entscheiden über ihr Kontrollorgan. Üblich ist, dass die Satzung die Amtsdauer regelt – häufig werden Aufsichtsräte für drei bis vier Jahre gewählt, mit gestaffelten Amtszeiten (Rotation), um kontinuierliche Arbeit zu gewährleisten. So kann die Satzung einer Genossenschaft vorschreiben, dass jährlich ein Drittel der Aufsichtsräte neu zu wählen ist, wodurch Erfahrungswissen erhalten bleibt und zugleich frische Impulse möglich sind.

In der Praxis werden Kandidaten oft vom amtierenden Aufsichtsrat oder Nominierungsausschüssen vorgeschlagen; jedes Mitglied hat aber das Recht, Kandidaten zur Wahl vorzuschlagen und mit abzustimmen. Damit kleine Gruppen die Wahl nicht dominieren, können Satzungen vorsehen, dass etwa ein Mindestquorum für die Wahl erreicht werden muss.

Abberufung und Amtsniederlegung von Aufsichtsräten

Abberufung (Abwahl) von Aufsichtsratsmitgliedern

In Genossenschaften kann die Generalversammlung Aufsichtsratsmitglieder jederzeit ihres Amtes entheben, indem sie deren Bestellung widerruft. Anders als beim Vorstand, wo teils ein wichtiger Grund verlangt wird, ist beim Aufsichtsrat eine ordentliche Abberufung meist auch ohne Angabe von Gründen durch Mehrheitsbeschluss der Mitglieder zulässig – schließlich soll das Vertrauen der Genossen maßgeblich sein. Die Satzung kann jedoch Quoren festlegen (z.B. eine qualifizierte Mehrheit von 2/3 der Stimmen für Abberufungen), um einen gewissen Bestandsschutz zu gewähren. In der Praxis kommt es nur selten zu vorzeitigen Abwahlen; häufig werden Missstimmigkeiten eher durch freiwilligen Rücktritt gelöst.

Die Mitglieder können im Extremfall Aufsichtsräte abwählen, wenn diese z.B. ihre Pflichten grob verletzen oder das Vertrauen verloren haben.

Amtsniederlegung (Rücktritt)

Ein Aufsichtsratsmitglied kann sein Amt grundsätzlich jederzeit niederlegen, muss dies aber schriftlich gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden (und meist auch dem Vorstand) erklären. Rechtlich handelt es sich um ein einseitiges Organverhältnis – ähnlich einem Auftrag –, das der Einzelne beenden kann. Allerdings darf die Amtsniederlegung nicht zur unzeitigen Unordnung führen. Das heißt, ein Rücktritt zu einem offensichtlich ungünstigen Zeitpunkt, der der Genossenschaft Schaden zufügen könnte (etwa kurz vor einer entscheidenden Sitzung, so dass der Aufsichtsrat beschlussunfähig würde), ist pflichtwidrig und im Extremfall schadenersatzpflichtig.

In der Regel lösen Aufsichtsratsmitglieder dies durch rechtzeitige Ankündigung und Koordination mit dem Gremium. Die Satzung oder Geschäftsordnung kann eine Kündigungsfrist (z.B. vier Wochen) vorsehen, es sei denn, ein wichtiger Grund rechtfertigt den sofortigen Rücktritt. Im Fall eines vorzeitigen Ausscheidens kann die Generalversammlung ein Ersatzmitglied nachwählen; alternativ kann – falls vorgesehen – ein bereits gewählter Ersatzvertreter nachrücken.

Jedenfalls endet die Amtszeit durch Abberufung, Niederlegung oder regulär mit Ablauf der Wahlperiode.

Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats

Der Aufsichtsrat ist per Gesetz das Überwachungsorgan der Genossenschaft. GenG § 38 Abs. 1 Satz 1 bestimmt: “Der Aufsichtsrat hat den Vorstand bei dessen Geschäftsführung zu überwachen.

Kernpflicht ist also die laufende Kontrolle der Geschäftsführung (Geschäftsleitung und Vertretung) des Vorstands

Dazu zählt sowohl die Rechtmäßigkeitskontrolle (Beachtung von Gesetz, Satzung, Beschlüssen) als auch die Zweckmäßigkeits- und Wirtschaftlichkeitskontrolle (wird im Mitgliederinteresse und mit betriebswirtschaftlichem Sachverstand geführt?). Diese umfassende Überwachungspflicht beginnt nicht erst, wenn etwas schiefläuft, sondern besteht kontinuierlich – auch in scheinbaren „Ruhephasen“ ohne akute Probleme.

Der BGH hat jüngst betont, dass selbst bei jahrelangem Stillstand der Geschäfte die Kontrollpflicht unvermindert gilt und der Aufsichtsrat regelmäßig, formal informiert werden muss.

Um seine Überwachungsaufgabe erfüllen zu können, hat der Aufsichtsrat weitreichende Rechte auf Information und Prüfung. Gemäß GenG § 38 Abs. 1 Satz 2 kann der Aufsichtsrat “jederzeit Auskünfte über alle Angelegenheiten der Genossenschaft verlangen”.

Der Vorstand ist also verpflichtet, dem Aufsichtsrat auf Verlangen jederzeit umfassend Bericht zu erstatten. Dieses Auskunftsrecht bezieht sich auf sämtliche Geschäftsangelegenheiten – von der Finanzlage über laufende Projekte bis zu strategischen Planungen. Zusätzlich darf der Aufsichtsrat Bücher und Unterlagen einsehen und prüfen. Er kann einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats beauftragen, bestimmte Prüfungen oder Dokumenteneinsichten vorzunehmen. Sogar jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied hat das Recht, Auskünfte vom Vorstand zu verlangen – allerdings nur zugunsten des ganzen Gremiums, d.h. Informationen müssen an den Gesamtaufsichtsrat zurückgespielt werden.

Diese Konstruktion soll verhindern, dass Einzelmitglieder den Vorstand bypassieren; sie stellt aber sicher, dass kein Vorstandsgeheimnis vor dem Aufsichtsrat verborgen bleiben darf.

Informationsfluss und -pflichten

Während der Aufsichtsrat ein Holrecht (Abrufrecht) hat, trifft den Vorstand eine Bringschuld. So muss der Vorstand von sich aus den Aufsichtsrat in bestimmten Abständen und Situationen informieren. Im Aktienrecht ist das detailliert in § 90 AktG geregelt (regelmäßige Berichte mindestens vierteljährlich, Sonderberichte bei wichtigem Anlass)

Für Genossenschaften fehlt eine explizite Norm, doch werden in der Praxis ähnliche Standards angelegt. Vorstand und Aufsichtsrat sollten idealerweise eine Geschäftsordnung vereinbaren, die Turnus und Inhalt der Berichterstattung festlegt (etwa: Finanzberichte quartalsweise, jährliche Budget- und Strategiepräsentation, Ad-hoc-Information bei außergewöhnlichen Vorgängen).

In vielen Agrargenossenschaften ist es üblich, dass der Vorstand den Aufsichtsratsvorsitzenden laufend auf dem Laufenden hält und alle Aufsichtsratsmitglieder zu jeder planmäßigen Sitzung ausführliche Unterlagen (Kennzahlen, Projekte, Risikoberichte) erhalten. Versäumt der Vorstand eine geordnete Berichterstattung, darf der Aufsichtsrat nicht passiv bleiben, sondern muss aktiv die Informationen einfordern. Andernfalls verletzt er seine Überwachungspflicht. Der Aufsichtsratsvorsitzende sollte hier federführend agieren und bei Informationsdefiziten „Druck ausüben“ .

Eine wichtige neue Pflicht hat das StaRUG (Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen) seit 2021 begründet. Nach § 1 StaRUG muss das Leitungsorgan (der Vorstand) fortlaufend über bestandsgefährdende Entwicklungen wachen und dem Aufsichtsrat unverzüglich berichten, sobald eine solche droht.

Damit ist gesetzlich festgeschrieben, dass in Krisensituationen der Aufsichtsrat frühzeitig eingebunden werden muss. Für landwirtschaftliche Genossenschaften – die etwa durch Preisschwankungen, Ernteausfälle oder Tierseuchen Krisenrisiken haben – ist diese Früherkennung essenziell. Der Aufsichtsrat muss dann gemeinsam mit dem Vorstand geeignete Gegenmaßnahmen beraten (bis hin zur Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens nach StaRUG). Insgesamt gehört es zur Compliance-Aufgabe des Aufsichtsrats, auf ein funktionierendes Risikomanagement- und Frühwarnsystem zu drängen. Große Genossenschaften haben oft interne Risikocontrolling-Prozesse; der Aufsichtsrat überwacht deren Wirksamkeit.

Weitere Kontrollrechte

Der Aufsichtsrat hat über die kontinuierliche Überwachung hinaus einige feste Aufgaben. So schreibt GenG § 38 Abs. 1 letzter Halbsatz vor, dass der Aufsichtsrat den Jahresabschluss, den Lagebericht und den Vorschlag zur Ergebnisverwendung prüfen und über das Ergebnis der Prüfung vor Feststellung des Jahresabschlusses der Generalversammlung berichten muss. In der Praxis prüft der Aufsichtsrat also den vom Vorstand aufgestellten Jahresabschluss, meist zusammen mit dem Bericht des genossenschaftlichen Prüfungsverbands (der ja ohnehin die Rechnungslegung testiert).

Er gibt dann zur General- bzw. Vertreterversammlung einen Prüfungsbericht bzw. eine Empfehlung (etwa: Zustimmung zum Jahresabschluss und zur Gewinnverteilung). Dies entspricht der Rolle eines Prüfungsausschusses in der AG. Außerdem bereitet der Aufsichtsrat oft den Entlastungsbeschluss vor, indem er der Generalversammlung empfiehlt, ob Vorstand und Aufsichtsrat für das vergangene Geschäftsjahr entlastet werden sollen oder nicht.

Zu den Pflichten gehört auch die strikte Verschwiegenheit

Aufsichtsratsmitglieder dürfen vertrauliche Informationen und Betriebsgeheimnisse der Genossenschaft, die ihnen durch das Amt bekannt werden, nicht unbefugt nach außen geben. Diese Pflicht ist im GenG zwar nicht ausdrücklich wie im AktG normiert, ergibt sich aber aus der Treuepflicht gegenüber der Genossenschaft. Gerade in landwirtschaftlichen Genossenschaften, wo die Mitglieder teils in Konkurrenz zueinander stehen (z.B. im Absatz ihrer Produkte), ist Diskretion wichtig, um Missstimmungen oder Marktverzerrungen zu vermeiden.

Abgrenzung zum Vorstand und zur Generalversammlung

Der Aufsichtsrat hat keine operative Geschäftsführungsbefugnis. Die Leitung des Tagesgeschäfts liegt ausschließlich beim Vorstand (GenG § 24). Der Aufsichtsrat darf dem Vorstand keine Weisungen im Tagesgeschäft erteilen; er kann jedoch durch Beschlüsse mit Zustimmungsvorbehalt Einfluss nehmen (siehe unten). Die Generalversammlung wiederum ist das oberste Willensorgan und entscheidet in grundlegenden Angelegenheiten (Satzungsänderungen, Wahl/Abwahl von Organmitgliedern, Jahresabschlussfeststellung etc.).

Zwischen diesen Polen nimmt der Aufsichtsrat die Mittlerrolle ein

Er überwacht den Vorstand laufend (anders als die Generalversammlung, die nur punktuell tätig wird) und berichtet wiederum an die Generalversammlung. Die Kompetenzen sind gesetzlich und satzungsmäßig verteilt, um gegenseitige Kontrolle zu gewährleisten. So darf die Generalversammlung dem Aufsichtsrat nicht in seine Überwachungsaufgabe hineinregieren – sie kann dem Aufsichtsrat z.B. keine konkreten Prüfungsanweisungen geben, wohl aber durch Abwahlen oder Nicht-Entlastung Missfallen signalisieren.

Umgekehrt darf der Aufsichtsrat nicht eigenmächtig in Zuständigkeiten der Generalversammlung eingreifen, etwa in Entscheidungen über Dividenden/Förderüberschüsse oder Satzungsänderungen (diese sind originär der Mitgliederversammlung vorbehalten). Als Überwachungsorgan hat der Aufsichtsrat jedoch das Recht und die Pflicht, den Vorstand bei Bedarf zu beraten. Zwar nennt das GenG das Wort „Beratung“ nicht explizit, doch in der Praxis wird vom Aufsichtsrat erwartet, ein kritischer und konstruktiver Sparringspartner des Vorstands zu sein.

Strategiebegleitung

Der Aufsichtsrat sollte sich regelmäßig mit der strategischen Ausrichtung der Genossenschaft befassen. Gute Governance bedeutet, dass Vorstand und Aufsichtsrat offen über die langfristige Unternehmensstrategie diskutieren. In vielen Genossenschaften – gerade in den konkurrenzintensiven Agrarmärkten – wird der Aufsichtsrat früh in strategische Überlegungen einbezogen (z.B. Investitionsvorhaben, Diversifikation, Kooperationen mit anderen Unternehmen). Der DCGK formuliert als Grundsatz, dass eine offene Diskussion zwischen Vorstand und Aufsichtsrat erfolgen soll, um die nachhaltige Entwicklung des Unternehmens zu sichern.

Einwirkung auf die Geschäftsführung und Zustimmungsvorbehalte

Trotz fehlender Weisungsbefugnis kann der Aufsichtsrat indirekt auf die Geschäftsführung Einfluss nehmen, nämlich durch Zustimmungsrechte. Es ist üblich – und in Genossenschaften sehr verbreitet –, dass die Satzung oder eine Geschäftsordnung des Vorstands sogenannte Zustimmungsvorbehalte definiert. Das bedeutet, bestimmte Arten von Geschäften oder Maßnahmen des Vorstands bedürfen der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats.

Typische Beispiele in landwirtschaftlichen Genossenschaften

Erwerb oder Veräußerung von Immobilien über einer bestimmten Wertgrenze, Eingehen großer Kredite oder Bürgschaften, Investitionen oberhalb eines Schwellenwerts, Gründung von Tochtergesellschaften, Eintritt in neue Geschäftsfelder etc. So könnte eine Satzung vorsehen, dass der Vorstand Käufe oder Verkäufe von Anlagevermögen über 100.000 € nur mit Aufsichtsratsgenehmigung tätigen darf. Diese Mechanismen sollen sicherstellen, dass der Vorstand bei weitreichenden Entscheidungen eine zweite Kontrollinstanz einbindet.

Verletzt der Vorstand einen solchen Zustimmungsvorbehalt (indem er ohne OK des Aufsichtsrats handelt), ist das Geschäft zivilrechtlich meist trotzdem gültig gegenüber Dritten (Schutz des Geschäftsverkehrs durch Vertretungsmacht des Vorstands, GenG § 24), aber der Vorstand macht sich intern pflichtwidrig und kann vom Aufsichtsrat oder der Genossenschaft zur Rechenschaft gezogen werden. Ein aktueller Aspekt solcher Zustimmungsvorbehalte sind die Related Party Transactions (RPT), also Geschäfte mit nahestehenden Personen.

Durch das ARUG II (2020) wurde erstmals ausdrücklich ein Zustimmungsvorbehalt für größere Geschäfte einer börsennotierten Gesellschaft mit nahestehenden Personen eingeführt. Übertragen auf Genossenschaften heißt das: Auch wenn das Gesetz es (außer bei börsennotierten Unternehmen) nicht zwingend vorschreibt, sollte der Aufsichtsrat besonderes Augenmerk auf Geschäfte der Genossenschaft mit Vorstandsmitgliedern, Aufsichtsratsmitgliedern oder großen Genossen legen.

Beispielsweise, wenn die Genossenschaft Land von einem ihrer Vorstände pachten will, muss der Aufsichtsrat streng prüfen und typischerweise formell zustimmen, um Interessenkonflikte auszuschließen. Einige Genossenschaften haben dazu eigene Interessenkonflikt-Richtlinien erlassen. Der Kodex fordert ohnehin, dass Interessenkonflikte im Aufsichtsrat offenzulegen und angemessen zu behandeln sind (z.B. Betroffene nehmen an Beschlussfassungen nicht teil).

In Summe übt der Aufsichtsrat somit maßvolle Einflussnahme auf die Geschäftsführung aus: Er lässt dem Vorstand im Alltagsgeschäft weitgehende Freiheit, sorgt aber durch Informationspflichten, Beratungen und Zustimmungsvorbehalte dafür, dass die wichtigsten Entscheidungen im Sinne der Mitglieder und der Genossenschaft getroffen werden.

Vorstandsvergütung und Vergütungsbericht

im Aufbau

 

Haftung des Aufsichtsrats und D&O-Versicherung

Aufsichtsratsmitglieder einer Genossenschaft unterliegen der organisatiorischen Treue- und Sorgfaltspflicht. § 34 Abs.1 GenG verweist hinsichtlich der Vorstandshaftung auf § 93 Abs.1 AktG (Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters), und § 41 GenG erstreckt diese Vorschriften auf den Aufsichtsrat entsprechend. Konkret bedeutet das: Ein Aufsichtsrat muss die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Kontrolleurs walten lassen.

Verletzen Aufsichtsräte ihre Pflichten, haften sie der Genossenschaft gegenüber auf Schadensersatz (§ 34 Abs.2 i.V.m. § 41 GenG). Die Haftung ist zumeist als Gesamtschuldnerische Innenhaftung ausgestaltet – d.h. jedes Aufsichtsratsmitglied kann für den vollen Schaden herangezogen werden, wobei untereinander Ausgleich stattfinden kann. Die Haftung greift nicht für jede unternehmerische Fehlentwicklung, sondern nur, wenn dem Aufsichtsrat ein individuelles Pflichtversäumnis anzulasten ist. Der Aufsichtsrat haftet nicht für Fehlentscheidungen des Vorstands als solche, sondern nur, wenn er seine Überwachungspflicht verletzt hat.

Das heißt, es muss ein Überwachungsfehler vorliegen – z.B. hat der Aufsichtsrat Warnsignale ignoriert, Prüfungen unterlassen oder bekannten Pflichtverletzungen des Vorstands nicht entgegengewirkt.

Kommt es etwa zu einem finanziellen Schaden, weil der Vorstand rechtswidrig handelte und der Aufsichtsrat dies bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit hätte verhindern oder früher stoppen können, dann kann der Aufsichtsrat mithaften. Die Rechtsprechung hat mit dem berühmten ARAG/Garmenbeck-Urteil (BGH 1997) die Pflichten des Aufsichtsrats präzisiert: Ergibt eine Prüfung, dass Vorstandsmitglieder der Gesellschaft einen Schaden zugefügt haben, so muss der Aufsichtsrat grundsätzlich gegen diese vorgehen (Ansprüche prüfen und durchsetzen), sofern nicht überwiegende Gesellschaftsinteressen dagegensprechen.

Der Aufsichtsrat hat eine sorgfältige Risikoanalyse vorzunehmen, ob die gerichtliche Geltendmachung Erfolg verspricht und den Schaden voraussichtlich einbringen kann. Wenn ja, ist er im Regelfall verpflichtet, Klage zu erheben. Unterlässt der Aufsichtsrat die Anspruchsverfolgung ohne tragfähigen Grund, so macht er sich seinerseits schadenersatzpflichtig.

Dieses Prinzip wurde 2018 vom BGH bestätigt und ergänzt. Lässt der Aufsichtsrat Ersatzansprüche gegen den Vorstand verjähren, beginnt seine eigene Haftung in dem Moment, in dem die Ansprüche gegen den Vorstand nicht mehr durchsetzbar sind.

Die ARAG/Garmenbeck-Grundsätze gelten für Genossenschaften entsprechend – auch hier muss der Aufsichtsrat im Interesse der Genossenschaft handeln und notfalls “die eigenen Leute” (Vorstände) belangen, wenn es zum Schutz der Genossenschaft nötig ist. Ein weiteres Beispiel eines Haftungsfalls in Genossenschaften lieferte der BGH 2003. In einer großen Molkereigenossenschaft hatten Vorstand und Aufsichtsrat es jahrelang versäumt, von den Mitgliedern satzungsgemäß verpflichtend zu übernehmende weitere Geschäftsanteile einzufordern.

Dadurch fehlte der Genossenschaft am Ende Kapital (Beitragsausfall) in Millionenhöhe. Der BGH entschied, dass Vorstand und Aufsichtsrat der Genossenschaft haften, weil sie schuldhaft pflichtwidrig unterlassen hatten, die Mitglieder zur Zeichnung und Einzahlung dieser Anteile zu bewegen.

Insbesondere hätte der Aufsichtsrat darauf drängen müssen, rechtzeitig eine Generalversammlung einzuberufen, um die Nachschusspflicht durchzusetzen – dies wurde unterlassen.

Dieser Fall zeigt, dass der Aufsichtsrat auch bei der Durchsetzung von Mitgliederpflichten gefordert ist, soweit diese für die Vermögenssicherung der Genossenschaft wichtig sind. Versäumnisse können als Überwachungsfehler ausgelegt werden, für die der Aufsichtsrat haftet.

Allerdings ist die Haftung in Genossenschaften durch eine Neuerung 2017 etwas abgemildert worden: Wenn Aufsichtsratsmitglieder im Wesentlichen unentgeltlich tätig sind (was bei vielen kleinen Genossenschaften der Fall ist), gilt gemäß § 34 Abs.2 Satz 3 GenG i.V.m. § 41 GenG eine Haftungserleichterung. Diese soll ehrenamtlich Engagierte schützen. Konkret wird keine starre Grenze gezogen, aber die Umstände des Einzelfalls – insbesondere Größe der Genossenschaft und Umfang der Tätigkeit – werden berücksichtigt.

Die Vorschrift soll verhindern, dass z.B. ein Landwirt im Aufsichtsrat seiner Dorfgemeinschaftsgenossenschaft mit Existenz-bedrohenden Schadensersatzforderungen konfrontiert wird, obwohl er kaum Vergütung erhielt. Dennoch bedeutet Haftungserleichterung nicht Haftungsfreiheit. Auch ein ehrenamtlicher Aufsichtsrat muss seine Kernpflichten erfüllen; nur bei leichter Fahrlässigkeit in geringfügigen Fällen wird man von Haftung absehen können.

Zur Absicherung der Aufsichtsräte schließen Genossenschaften in der Regel eine D&O-Versicherung (Directors-and-Officers-Versicherung) ab. Diese Vermögensschaden-Haftpflicht deckt bestimmte fahrlässige Pflichtverletzungen von Organmitgliedern ab und übernimmt im Haftungsfall den Schaden oder zumindest die Rechtsverteidigungskosten. Für große Unternehmen, die börsennotiert sind, fordert § 93 Abs.2 Satz 3 AktG einen Selbstbehalt von 10% für Vorstände bei D&O-Versicherung – für Genossenschaftsorgane gibt es keine solche gesetzliche Vorgabe, doch manche Genossenschaften übernehmen den Kodexgrundsatz freiwillig und vereinbaren ebenfalls Selbstbehalte, um Anreize zur Sorgfalt zu wahren. In jedem Fall gibt die D&O-Versicherung den Aufsichtsratsmitgliedern ein Stück weit Rückendeckung, sodass sie ihre Kontrollaufgaben ohne ständige Angst vor dem Ruin wahrnehmen können – freilich ersetzt sie nicht die eigene sorgfältige Arbeit.

Abschließend lässt sich sagen: Der Aufsichtsrat einer landwirtschaftlichen Genossenschaft bewegt sich im Spannungsfeld zwischen der genossenschaftlichen Basisdemokratie (Mitgliederinteressen), dem unternehmerischen Erfolg des Betriebs und rechtlichen Rahmenbedingungen. Er muss Recht und Pflichten genau kennen – von den gesetzlichen Grundlagen (GenG) über die Corporate-Governance-Empfehlungen (DCGK) bis hin zur einschlägigen Rechtsprechung –, um die Genossenschaft verlässlich zu überwachen und strategisch zu begleiten. Nur ein gut aufgestellter, kompetenter und pflichtbewusster Aufsichtsrat kann sicherstellen, dass die Genossenschaft im Sinne ihrer Mitglieder nachhaltig und rechtssicher geführt wird.

BGH, Urt. v. 21.04.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck)

Der Aufsichtsrat muss Schadensersatzansprüche gegen Vorstände prüfen und ggf. verfolgen; Unterlassen führt zu eigener Haftung.

BGH, Urt. v. 01.12.2003 – II ZR 216/01

Vorstand und Aufsichtsrat haften für Vermögensschaden, wenn sie pflichtwidrig unterlassen, satzungsmäßige Beitragspflichten der Mitglieder durchzusetzen (Pflicht zur Nachschussleistung)

 

BGH, Urt. v. 17.03.2008 – II ZR 239/06

Der AR-Vorsitzende kann den Aufsichtsrat nicht ohne Beschluss vertreten (hier: keine alleinige Vertragsänderung mit Vorstand); solche Verträge sind mangels Gremienbeschluss nichtig

BGH, Urt. v. 02.07.2019 – II ZR 155/18

Die fristlose Kündigung eines Vorstandsmitglieds kann wirksam durch die General-/Vertreterversammlung ausgesprochen werden, sofern die Satzung das vorsieht; § 39 GenG steht dem nicht entgegen (Kündigungszuständigkeit liegt nicht ausschließlich beim AR)

BGH, Beschl. v. 03.12.2024 – II ZR 167/23

Bestätigt die analoge Anwendung von § 111 Abs.2 AktG für Genossenschaften – Aufsichtsrat darf Sachverständige beauftragen; außerdem allgemeine Vertretungskompetenz des AR für Hilfsgeschäfte anerkannt..

BGH, Urt. v. 18.09.2018 – II ZR 152/17

Bestätigt ARAG/Garmenbeck-Grundsätze und stellt klar, dass Verjährung von Ansprüchen gegen Vorstände den Beginn der Haftung des AR markiert (Klarstellung zum Verjährungsbeginn der Organhaftung)

 

 

 

 

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