In der landwirtschaftlich geprägten Genossenschaft (eG) mit wenigen Genossenschaftsmitgliedern und hohem Eigenkapital stellt sich regelmäßig die Frage nach dem Schutz des Wertes des einzelnen Genossenschaftsanteils. Kapitalmaßnahmen beispielsweise können den „inneren Wert“ des Geschäftsanteils des Mitglieds an der Genossenschaft wirtschaftlich verwässern.

In der Genossenschaft kann die Erhöhung des Beteiligungskapitals durch

  • die Aufnahme neuer Mitglieder,
  • die Beteiligung der Mitglieder mit mehreren Geschäftsanteilen,
  • die Erhöhung der Einzahlung auf die Geschäftsanteile,
  • die Erhöhung der Geschäftsanteile aus Gesellschaftsvermögen und
  • die Erhöhung der Geschäftsanteile mit anschließender Erhöhung der Einzahlung auf die Geschäftsanteile

umgesetzt werden.

In diesem Beitrag werden wir die 1. und 2. Variante einer „Kapitalerhöhung“ behandeln.

Zur Haftung des Vorstands wegen Verwässerung der Genossenschaftsanteile siehe hier.

Der Fall

Eine landwirtschaftlich geprägte Genossenschaft zählt 100 Mitglieder mit insgesamt 100 Geschäftsanteilen. Nach der Satzung der eG ist auf einen Geschäftsanteil ein Betrag in Höhe von 1.000 € einzuzahlen. Die Summe der Geschäftsguthaben beträgt 100.000 €.

Diese Genossenschaft verfügt über hohe stille Reserven und ihr Unternehmenswert beläuft sich auf 10 Millionen €.

Der innerer Wert eines Geschäftsanteils im Nennbetrag von 1.000 € beträgt demnach 100.000 €, also das Hundertfache des Nennbetrags bzw des Geschäftsguthabens.

Dem Vorstand liegen 50 Aufnahmeanträge von potentiellen Neumitgliedern vor. Jeder der Antragsteller möchte mit einem Geschäftsanteil in die eG aufgenommen werden und 1.000 € in die Genossenschaft einzahlen.

10 der 100 aktuellen Mitglieder der eG beantragen, jeweils weitere 5 Geschäftsanteile, also insgesamt 50 Geschäftsanteile zu zeichnen. Auch Sie beabsichtigen, auf jeden Geschäftsanteil 1.000 € einzuzahlen.

Werden die potentiellen Neumitglieder in die eG aufgenommen und an Altmitglieder 50 weitere Geschäftsanteile zur Zeichnung freigegeben, zählt die Genossenschaft nunmehr 150 Mitglieder mit insgesamt 200 Geschäftsanteilen. Das Geschäftsguthaben beträgt in der Summe 200.000 €.

Die Neuafnahme bzw. die Zeichnung weiterer Geschäftsanteile bedarf der Zulassung in der Regel des Vorstands oder der Generalversammlung.

Wie entscheidet der Vorstand der Genossenschaft – Treuepflicht?

Zuständigkeit für die erforderliche Zulassung

Zuständigkeit für die Zulassung neuer Mitglieder

Regelt die Satzung, dass die eG, vertreten durch den Vorstand über die Zulassung neuer Mitglieder entscheidet, spricht viel dafür, dass die Generalversammlung zuständig ist, da die Aufnahme neuer Mitglieder keine Geschäftsführungsmaßnahme nach § 27 Abs. 1 S.1 und 2 GenG, sondern ein der operativen Geschäftsführung „vorgelagerter vereinsautonomer Selbstorganisationsakt“ ist. Ein solcher Selbstorganisationsakt obliegt der Generalversammlung als dem obersten und grundsätzlich allzuständigen Genossenschaftsorgan.

Diese Rechtsauffassung ist jedoch umstritten.

Sollte stattdessen eine Zuständigkeit des Vorstands für die Zulassung neuer Mitglieder gegeben sein, sollte der Vorstand sicherheitshalber die Generalversammlung anhören. In diesem Fall wäre der Vorstand zwar nicht an den Willen der Generalversammlung gebunden, müsste diesen Willen im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens aber berücksichtigen.

Zuständigkeit für die Gewährung weiterer Geschäftsanteile an aktuelle Mitglieder

Liegt nach der Satzung der eG die Zulassung der Zeichnung weiterer Geschäftsanteile beim Vorstand, hat der Vorstand ermessensfehlerfrei zu entscheiden. Diese Aufgabe ist in unserem Fall besonders schwierig. Im Zweifelsfall sollte der Vorstand die Generalversammlung anhören.

Gefahr der Pflichtverletzung durch den Vorstand der Genossenschaft

Grundsätzlich besteht kein Anspruch auf Zulassung als Neumitglied der eG oder auf Zeichnung weiterer Geschäftsanteile. Es gibt aber Ausnahmen, nach denen ein solcher Anspruch nach dem Gesetz möglich ist.

Eine Zulassungsverweigerung kann rechtsmissbräuchlich sein, wenn dem Interesse der eG an der Verweigerung der Zulassung übergeordnete Interessen stehen. Zu den übergeordneten Interessen zählt beispielsweise der Gleichbehandlungsgrundsatz.

Der Vorstand hat die Interessen aller Genossenschaftsmitglieder im Rahmen seiner Treuepflicht zu berücksichtigen und mit den relevanten Interessen der eG und der Antragsteller abzuwägen.

Die Gefahr einer Pflichtverletzung des Vorstands besteht, wenn er durch die Zulassung der Aufnahme von Neumitgliedern oder der Zeichnung weiterer Geschäftsanteile an Altmitglieder den inneren Wert des bestehenden Genossenschaftsanteils anderer Altmitglieder verwässert.

In unserem Fall steigt die Anzahl der Geschäftsanteile von 100 auf 200 und es sinkt der ursprüngliche innere Wert pro Geschäftsanteil von 100.000 € auf 50.000 €.

Der Wert jeder der 100 mit 1.000 € neu eingezahlten Geschäftsanteile ist nach einer juristischen Sekunde von 1.000 € auf 50.000 € gestiegen.

Der Wert jeder der ursprünglichen 100 Geschäftsanteile ist nach einer juristischen Sekunde von 100.000 € auf 50.000 € gefallen.

Auch zur Vermeidung von Haftungsgefahren ist der Vorstand gehalten, Entscheidungen mit der Folge von Vermögensverschiebungen zugunsten und zulasten der Genossenschaftsmitglieder auf breite Schultern zu verteilen, also die Generalversammlung anzurufen.

Wer legt fest, in welcher Höhe und Anzahl Geschäftsanteile von Mitgliedern gezeichnet werden dürfen?

Das Genossenschaftsgesetz ermöglich der einzelnen Genossenschaft, weitgehend frei in der von der Generalversammlung festgelegten Satzung sowohl den Betrag eines Geschäftsanteils als auch die Anzahl der Geschäftsanteile, die ein Mitglied übernehmen kann zu regeln, § 7a Absatz 1 GenG. Ein Mindestbetrag für den Geschäftsanteil ist gesetzlich ebenso wenig wie ein Höchstbetrag vorgesehen. Die Satzung kann auch die Verpflichtung des Mitgliedes vorsehen, sich mit mehreren Geschäftsanteilen zu beteiligen. Man spricht dann von einer Pflichtbeteiligung, § 7a Absatz 2 GenG.

Innerhalb des Rahmens der Satzung kann der Vorstand nach seinem Ermessen entscheiden, ob ein Mitglied neben der Pflichtbeteiligung zusätzlich weitere Geschäftsanteile freiwillig übernehmen darf und so etwa von einer Dividende profitieren kann. Der Vorstand muss bei dieser Entscheidung jedoch die Gleichbehandlung aller Mitglieder wahren, also Regeln aufstellen, die für alle Mitglieder gelten. Von den Bestimmungen der Satzung darf er nicht abweichen.Bernd Bode in Genossenschaftsverband Verband der Regionen, Wie funktioniert eine Genossenschaft? Teil 1, Seite 15

Erforderliche Mehrheit in der Generalversammlung der Genossenschaft

Unabhängig davon, wer über eine Neuaufnahme von Mitgliedern bzw. die Zeichnung weiterer Geschäftsanteile zuständig ist, gilt Folgendes:

Mögliche Wege der Aufnahme weiterer Mitglieder und Zeichnung weiterer Geschäftsanteile

Ausgabe neuer Geschäftsanteile mit Agio (Aufgeld)

Unproblematisch ist die Aufnahme neuer Mitglieder und die Zeichnung weiterer Geschäftsanteile, wenn in unserem Fall neben 1.000 € für den Geschäftsanteil zusätzlich ein Aufgeld in Höhe von 99.000 €, mithin insgesamt 100.000 € pro Geschäftsanteil an die eG gezahlt wird. Hierfür bedarf es einer Vereinbarung zwischen eG und neuem Mitglied bzw. bestehendem Mitglied.

Einer wirtschaftlichen Verwässerung wird durch Aufgeldzahlung eines entsprechenden, tatsächlichen Wertes der bereits bestehenden 100 Geschäftsanteile entgegengetreten. Nunmehr ist die eG bei doppelter Anzahl von Geschäftsanteilen mit 200.000 € Geschäftsguthaben und Agio doppelt so viel, demnach 20.000.000 € wert.

Bezugsrecht der übrigen aktuellen Mitglieder (eher ein theoretischer Fall)

Bezugsrechtsüberlegungen können helfen, die Neuaufnahme von Mitgliedern und die Zeichnung von weiteren Geschäftsanteilen durchzuführen.

Ein Bezugsrecht bezeichnet das den Mitgliedern zustehende Recht, bei einer Erhöhung der Anzahl der Geschäftsanteile mit neuen Geschäftsteilen bedacht zu werden, und zwar im Verhältnis ihrer bisherigen Geschäftsanteile am Geschäftsguthaben.

Auch wenn das Bezugsrechtsargument theoretisch überzeugt, ist es in den meisten Fällen praktisch undurchführbar. Denn die Altmitglieder müssten für jeden  neuen Geschäftsanteil 1.000 € Geschäftsguthaben in die eG einzahlen.

Für die Mehrheit der bezugsberechtigten Mitglieder, welche sich die Einzahlungen auf Bezugsrecht-Geschäftsanteile nicht leisten können, liegt eine faktische Bezugsbeschränkung vor. Auch die faktische Berufsbeschränkung führt zu einer Vermögensverschiebung zulasten des Betroffenen.

Es ist nicht hinnehmbar, wenn die Neumitglieder bzw. die Zeichnungswilligen kein Aufgeld zahlen aber die Altmitglieder für ihr Bezugsrecht Liquidität aufbringen müssen. Die Altmitglieder werden ihr Bezugsrecht wohl nicht einlösen, die Neumitglieder und Zeichnungswilligen werden in der Folge unangemessen bevorteilt.

Ruft der Vorstand die Generalversammlung an, bedarf eine Entscheidung über die Zulassung der Aufnahme bzw. der Zeichnung weiterer Geschäftsanteile wegen einer unangemessenen Vermögensverschiebung der Zustimmung sämtlicher Genossenschaftsmitglieder. Ein einstimmiger Beschluss reicht nicht, wenn nicht alle Genossenschaftsmitglieder an der Generalversammlung teilnehmen.

Verzicht auf ein Aufgeld durch die aktuellen Mitglieder

Die Genossenschaftsmitglieder können auf ein Aufgeld (Agio) im Rahmen der Aufnahme der Neumitglieder bzw. der Zeichnung weiterer Geschäftsanteile verzichten oder teilverzichten, was unzweifelhaft zu einer erheblichen Vermögensverschiebung führen kann.

Auch in diesem Fall, bedarf eine Entscheidung über die Zustimmung der Aufnahme oder der Zeichnung weiterer Geschäftsanteile wegen einer unangemessenen Vermögensverschiebung der Zustimmung sämtlicher Genossenschaftsmitglieder.

Anspruch der aktuellen Mitglieder auf Nichtzulassung der Aufnahme eines Neumitglieds bzw. der Zeichnung weiterer Geschäftsanteile der eG mit wenigen Mitgliedern und hohem Eigenkapital

Es wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass aktuelle Mitglieder einen Anspruch auf Nichtzulassung des Aufnahmeantrags eines neuen Mitglieds bzw. der Zeichnung weiterer Geschäftsanteile haben, wenn die Zulassungen rechtsmissbräuchlich sind.

Dies ist der Fall, wenn eine eG mit wenigen Mitgliedern und hohem Eigenkapital Liquidationsverteilungsansprüche im Fall einer Auflösung der eG zulasten der Altmitglieder unverhältnismäßig verschieben.

Vermögensverteilungsansprüche können auch bei einem Verkauf des Unternehmens der eG zulasten der Altmitglieder unverhältnismäßig verschoben werden, so dass  ein Anspruch auf Nichtzulassung gerechtfertigt ist.

Sind über viele Jahre keine neuen Mitglieder in die eG aufgenommen bzw. keine weiteren Geschäftsanteile gezeichnet worden, wird auch hier ein Anspruch auf Nichtzulassung der Nauafnahme und Neuzeichnung vertreten.

Zwischenergebnis

Führen Neuaufnahmen bzw. die Zeichnung weiterer Geschäftsanteile zu unverhältnismäßigen Vermögensverschiebungen bei Altmitgliedern, ist die Zustimmung sämtlicher Altmitglieder der eG zwingend erforderlich. Mehrheitsbeschlüsse in der Generalversammlung sind nicht ausreichend. Einstimmige Zulassungsbeschlüsse in der Generalversammlung sind nur erfolgreich, wenn alle Altmitglieder in der Generalversammlung anwesend sind und alle Altmitglieder für die Zulassung gestimmt haben. Enthält sich ein Altmitglied bei der Abstimmung liegen die Voraussetzungen der Zulassung nicht vor.

Haftungsgefahr des Vorstands – Treuepflicht

Haftung nach § 34 GenG

Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einer Genossenschaft anzuwenden. Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Genossenschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet.

Bei Pflichtverletzungen haften die Vorstände nach § 34 Abs. 3 GenG ausschließlich gegenüber der Genossenschaft, nicht gegenüber den Mitgliedern.

In unserem Fall entsteht der eG schon kein Schaden, wenn die Werte der einzelnen Geschäftsanteile zwischen den Mitgliedern verschoben werden. Deshalb haftet der Vorstand nicht der eG gegenüber, wenn Vermögenswerte der einzelenen Geschäftsanteile der Altmitglieder durch Zulassung neuer Mitglieder bzw. Zeichnung weiterer Geschäftsanteile unverhältnismäßig fallen.

Haftung nach § 826 BGB

Der Vorstand kann jedoch gegenüber den Altmitgliedern aus allgemeinen Recht haften. In Betracht kommt § 826 BGB. § 826 BGB setzt eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung der Altmitglieder voraus, wenn diese Schädigung in besonders verwerflicher Weise die Vermögensinteressen der Altmitglieder außer Acht lässt und der Vorstand den Eintritt des Schadens bei den Altmitgliedern billigend in Kauf nimmt.

Eine Schädigung der Altmitglieder liegt mit der Vermögensverschiebung durch Neuaufnahmen bzw. Zeichnung weiterer Geschäftsanteile ohne eine Verpflichtung zur Aufgeldzahlung vor.

Für eine sittenwidrige Schädigung genügt, dass Neuaufnahmen von Mitgliedern bzw. die Zeichnung weiterer Geschäftsanteile ohne eine Verpflichtung zur Aufgeldzahlung unter Berücksichtigung alles Umstände des Einzelfalls außer Verhältnis steht. Diese Voraussetzungen liegen vor, wenn man den Schaden der Altmitglieder und die erstrebte Zulassung weiterer Geschäftsanteile vergleicht und für ein entstehendes Mißverhältnis kein gerechtfertigtes Interesse feststellen werden kann.

So liegt der Fall hier.

Gefahr der Schenkungssteuer

Wenn die Werte der einzelnen Genossenschaftsanteile durch Neuzeichnungen ohne Wertausgleich (ohne Aufgeld nur Nennbetrag) verschoben werden, besteht die Gefahr der Schenkungssteuer. Einzelheiten können hier nachgelesen werden.

Unsere Empfehlung

Im Ergebnis empfehlen wir dem Vorstand, die Generalversammlung in die Entscheidung über die Zulassung von Neumitgliedern bzw. Zeichnung von weiteren Anteilen einzubeziehen, um eine Haftung zu vermeiden.

Den Altmitgliedern empfehlen wir, die Zustimmung zur Zulassung der Neuaufnahmen und Zeichnung weiterer Geschäftsanteile ohne eine Verpflichtung zur Aufgeldzahlung in Höhe von 99.000 € je Geschäftsanteil zu verweigern.

Gegebenenfalls müssen Beschlüsse der Generalversammlung gerichtlich angegriffen werden, um eine wirtschaftliche Verwässerung der eigenen Geschäftsanteile zu verhindern.

Wir empfehlen auch unsere Ausführungen zum Ablauf bei einem Verkauf landwirtschaftlicher Betriebe.

Mehr zur Genossenschaft

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Frank Löffler