Praxisbewertung

Praxisbewertung I Was ist eine Praxis wert?

Im Jahre 2017 zählte mit ca. 2,5 Millionen die überwiegende Mehrheit (99,4 %) der deutschen
Unternehmen zu den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU); hiervon entfiel der größte
Anteil auf Kleinstunternehmen (2,1 Millionen). Die Anzahl der KMU ist in den letzten Jahren
wiederum erheblich gestiegen und orientiert sich derzeit bei um die 3,2 bis 3,6 Millionen. All
diese Unternehmen zusammen beschäftigten im Jahre 2020 über 16 Millionen Angestellte und
erwirtschafteten einen Umsatz von mehr als 2 Billionen Euro (Statistisches Bundesamt; Stand
03.07.2023).

Wie bereits erwähnt, machen bei den KMU gerade die Kleinstunternehmen den maßgeblichen
Anteil aus. Zu Kleinstunternehmen zählen diejenigen, welche weniger als zehn Mitarbeitern
beschäftigen und einen Umsatz von maximal zwei Millionen Euro pro Jahr erwirtschaften. Zu
diesen Kleinstunternehmen gehören auch die deutschlandweit geführten Arztpraxen, deren
Praxisbewertung hier vordergründig thematisiert werden soll.
Während sich die Umsatzzahlen der Arztpraxen innerhalb der letzten 20 Jahre zum Großteil
sehr positiv entwickelten, ist dementsprechend auch der Preis für die Übernahme einer
solchen gestiegen. Sich quasi „in das gemachte Nest zu setzen“ hat ergo seinen Preis, den
sich derjenige, welcher die Praxis aufgebaut und entsprechend lukrativ gemacht hat, auch zu
Recht vergüten lassen möchte.

Praxisbewertung

Praxisbewertung I Verkehrswert- / Kaufpreisermittlung

Die wesentliche Frage ist nunmehr: Welcher Preis ist für eine konkret zu erwerbende Praxis
angemessen und wie lässt sich dieser im Einzelnen genau ermitteln?

Die Ermittlung des Preises bzw. Verkehrswertes der Praxis erfolgt hierbei mit zum Teil recht
komplizierten Berechnungsmethoden, wobei eine Vielzahl von zumeist unbekannten Werten
von Nöten ist (Gebrauchswertfaktor von Wirtschaftsgütern, verschiedene volkswirtschaftliche
Indizes und dergleichen). Neben der Schwierigkeit, die eben besagten Werte zu ermitteln,
gestaltet sich ebenso die anschließende Berechnung sehr aufwendig und kompliziert,
weswegen es sich empfiehlt dies entsprechenden Experten zu überlassen.

Ganz allgemein jedoch formuliert muss ein Preis ermittelt werden, welcher im gewöhnlichen
Geschäftsverkehr zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort erzielt werden
könnte. Hierbei sind wiederum alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, welche den
Wert maßgeblich beeinflussen (ungewöhnliche Besonderheiten außen vor gelassen). Wichtig
ist vor allem eine sorgfältige Analyse der Vergangenheit im Hinblick auf Umsatz und Kosten
sowie eine Prognose dahingehend, wie gewinnbringend sich die Praxis auch in der Zukunft
erweisen wird.

Praxisbewertung

Praxisbewertung I Maßgebende Faktoren der Verkehrswertermittlung

Für die Ermittlung des Verkehrswertes ist eine Vielzahl von Einzelfaktoren von besonderer Bedeutung. Je nach Einzelfall sind diese Faktoren einzubeziehen und zu gewichten. Zu den besagten Einzelfaktoren gehören insbesondere:

– die Art der Praxis (Einzelpraxis oder Gemeinschaftspraxis mit zwei oder mehr Teilhabern)

– das jeweilige Fachgebiet

– die Arbeitszeit je Arzt

– der Anteil an Privatpatienten

– der Standort der Praxis (essentiell aufgrund der Einwohnerzahl sowie deren Kaufkraft)

– Konkurrenzsituation

– Zusatzqualifikationen

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Das Modifizierte Ertragswertverfahren als zutreffendste Bewertungsmethode

Für die Berechnung des Verkehrswertes einer Praxis eignet sich am ehesten das Modifizierte
Ertragswertverfahren; diese Meinung teilt auch der Bundesgerichtshof (Urteil vom
02.02.2011 – XII ZR 185/08). Dieses Verfahren kombiniert das bis ehemals angewandte
Klassische Ertragswertverfahren nach IDW S1 mit einem verkürztem Ergebniszeitraum und
einer Ermittlung des Substanzwertes der jeweiligen Praxis. Der Vorteil ist, dass das Verfahren
nicht an starre Multiplikatoren gebunden ist und mithin individuelle Faktoren zu berücksichtigen
vermag, welche sich wertbeeinflussend auswirken können. Der wesentliche Gedanke bei der
Berechnung ist der der Reproduktion (der Praxis): „Was würde es kosten, das zu bewertende
Unternehmen in allen Einzelteilen zu reproduzieren, sozusagen ein identisches Unternehmen
auf die grüne Wiese zu stellen“ (Kuhner/Maltry, Unternehmensbewertung, Rn 43).

Hierzu reicht es ersichtlich nicht aus, allein dieselben Wirtschaftsgüter anzuschaffen und
Kapital zur Verfügung zu stellen. Es ist vielmehr ebenso erforderlich, dass fachkundiges
Personal angestellt und eingearbeitet wird, ein Patientenstamm aufgebaut, die Praxis sich
etabliert und vieles mehr.

Zu ermitteln sind letztlich somit zwei Komponenten, welche den Verkehrswert der Praxis
bestimmen: Der Substanzwert der Praxis und deren Ertragswert (auch GoodWill oder
Firmenwert genannt). Wie sich wiederum diese beiden Werte ermitteln lassen, soll im
Folgenden vereinfacht dargestellt und anhand von Einzelbeispielen verdeutlicht werden.

Praxisbewertung

Der Substanzwert

Zur Ermittlung des Substanzwertes sind sämtliche materiellen Vermögenswerte der Praxis
(Einrichtung, medizinische Geräte, Instrumente, Vorräte, usw.) mit den übrigen Posten der
Aktiva (Waren, Forderungen, Geldbestände, usw.) zu addieren; das Ergebnis hieraus ist dann
wiederum um die Verbindlichkeiten und Rückstellungen zu kürzen.

Ausgehend von dem oben erwähntem Reproduktionsgedanken ist hinsichtlich des materiellen
Vermögenswertes der Wiederbeschaffungs- bzw. Reproduktionswert anzusetzen, mithin der
jeweilige Zeitwert der einzelnen Wirtschaftsgüter (= WG). Dieser Wert eines WG ermittelt sich
– unter der Prämisse der Praxisfortführung – anhand der Anschaffungskosten, der
Teuerungsrate, des Alters, der durchschnittlichen Nutzungs- und Lebensdauer und des
Betriebszustandes sowie -einsatzes.

Die Formel hierfür lautet:

ZW = AW x FPW x FZw x FGw x FMw

AW = Anschaffungswert

FPW = Preiswertfaktor, Preisindizes

FZw = Zeitwertfaktor; technische Nutzungsdauer

FGw = Gebrauchswertfaktor; Zustand

FMw = Marktwertfaktor; Marktgängigkeit

Wie vorab bereits angesprochen, dürften bis auf den Anschaffungswert die weiteren Faktoren
zu Preiswert, Gebrauchswert usw. regelmäßig unbekannt sein.

Definitionen der einzelnen Faktoren sind für den Laien hierbei auch kaum eine Hilfe und werfen
letztlich nur noch mehr gedanklich Fragezeichen auf.

Bspw.: „Der Zeitwertfaktor ermittelt sich nach Wahl des Sachverständigen aus einer
linearen, arithmetisch degressiven oder geometrisch degressiven Gleichung in der die
voraussichtliche Gesamtnutzungsdauer der Maschine und ein möglicher Restwert am
Ende der Nutzdauer die beiden Variablen Eingangsgrößen darstellen.“
Einfach ausgedrückt bedeutet es am Beispiel Zeitwertfaktor, dass je nach Auffassung des
Sachverständigung sich der Wert eines WG in den einzelnen Zeitabschnitten nach der
Anschaffung mehr oder weniger schnell verflüchtigt (Exemplarisch: Wert -10% im ersten Jahr,
-7,5% im vierten Jahr und -4% im zehnten Jahr nach der Anschaffung).

Als kleines Beispiel:

Ein WG mit einem Anschaffungswert von 30.000,- EUR und einer allgemeinen Nutzungsdauer
von 18 Jahren hat regelmäßig (den Gebrauchs- und Marktwertfaktor außen vor gelassen;
beide Faktoren mit 1 bemessen)

– nach 3 Jahren einen Zeitwert von ca. 21.500,- €;

– nach 10,5 Jahren einen Zeitwert von ca. 8.100,- €; und

– nach 18 Jahren oder darüber hinaus einen Zeitwert von noch ca. 3.000,- EUR.*

* Werte weichen je nach Berechnungsmethode des Sachverständigen ab

Gerade auch im Hinblick auf die weiteren zu berücksichtigen Faktoren ist eine Berechnung für
den Laien nahezu unmöglich und mithin quasi zwingend einem Fachmann zu überlassen. Sich
dagegen der Einfachheit halber mit dem Buchwert zu begnügen ist in keiner Weise ratsam, da
so letztlich voll abgeschriebene aber noch gebrauchstüchtige WG bei der
Verkehrswertberechnung faktisch unbedacht bleiben.

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Der Ideelle Wert (GoodWill)

Der ideelle Wert einer Praxis ist mit dem Barwert der zukünftigen Nettoüberschüsse
gleichzusetzen, die der Praxiserwerber in dem Zeitraum erwirtschaftet, welchen er eigentlich
für den „Neuaufbau“ einer vergleichbaren Praxis benötigt hätte. Grundlage hierfür bildet
zunächst der nachhaltig erzielbare Ertrag nach Abzug der Ertragssteuer und eines
individuellen Unternehmerlohns. Dieser nachhaltige Reinertrag ist dann mit einem Faktor zu
multiplizieren, welche die voraussichtliche Dauer des Aufbaus einer vergleichbaren Praxis in
Jahren wiedergibt (= Rentenbarwertfaktor).

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Nachhaltige zukünftige Überschüsse

Um die zukünftig erwirtschaftbaren Überschüsse (=Praxisgewinn) beziffern zu können ist eine
Analyse der in der Vergangenheit erzielten Einnahmen und Ausgaben vorzunehmen; hierbei
sind „außerordentliche“ Positionen/ „Abweichungen von der Norm“ herauszurechnen. In einem
weiteren Schritte wird ermittelt, inwieweit sich die so errechneten betriebswirtschaftlichen
Erträge wiederum auf einen Praxisnachfolger übertragen lassen bzw. wie dieser mit ggf. nur
wenigen Veränderungen vollends von der Praxis profitieren kann. Von besonderer Bedeutung
sind hierbei die Entwicklung der Praxis, deren Standort und die aktuellen Entwicklungen des
Gesundheitsmarktes. Aufgrund des offenkundigen Ermessensspielraums hierbei, kann es bei
der Bewertung zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

Von einem Gutachter werden in der Folge Prognosen hinsichtlich des zukünftigen Umsatzes
sowie der zukünftigen Kosten getroffen.

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Ein einfaches Beispiel hierzu:

Die lediglich für 20 Stunden in der Woche geöffnete Praxis A generierte bislang einen Umsatz
von 300.000 € pro Jahr. Die weitere Praxis B generierte demgegenüber 450.000 € Umsatz pro
Jahr, war jedoch durchgehend für 35 Wochenstunden geöffnet. Sofern die lediglich begrenzte
Anzahl an Wochenstunden in Praxis A nicht bspw. durch eine entsprechend niedrige
Patientenfrequentierung oder ähnliche Umstände limitiert wurde, welche sich ebenso vom
Erwerber nur schwer beseitigen lassen, so ist ersichtlich, dass bei gleicher Wochenarbeitszeit
sich für Praxis A eine entsprechend höhere Umsatzprognose als für Praxis B errechnen lässt.

Wie in Zusammenhang mit dem Umsatz sind entsprechende Überlegungen auch bezüglich
der zukünftigen Kosten anzustellen: Wie entwickeln sich die Unterhaltskosten der Praxis, wie
müssen die Löhne des Personals angepasst werden, wie wirkt sich die Inflation aus und vieles
mehr.

Sind die Prognosen beziffert worden, ergibt sich aus dem zukünftigen Umsatz abzüglich der
zukünftig voraussichtlichen Kosten der Gewinn, welchen die Praxis (vor Steuern) zu
generieren vermag.

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Unternehmerlohn

Da in der Einnahmen-Überschussrechnung das Gehalt eines Arztes/Unternehmers nicht als
Betrag ausgewiesen werden darf, ist dieses Gehalt aus den zuvor ermittelten Überschüssen
herauszurechnen. Der Gedanke dahinter ist der, dass der Erwerber seine
Verdienstmöglichkeiten auch in einem Angestelltenverhältnis (mit geringerem Risiko)
ausschöpfen könne und letztlich nur den „Mehrwert“ des Erwerbs einer eigenen Praxis dem
Veräußerer vergüten soll. So hat der Erwerb einer eignen Praxis für einen Übernehmer faktisch
keinen „Wert“, wenn er hierbei dasselbe wie auch als Angestellter erwirtschaften würde.

Die Höhe des Arztlohnes ist dabei individuell zu berechnen, bemisst sich am Gehalt eines
angestellten Arztes in vergleichbarer Tätigkeit und ist gemäß der Arbeitsintensität sowie
persönlichen Fähigkeiten anzupassen. Auch an dieser Stelle besteht ersichtlich
Bewertungsspielraum.

„Bei der Bewertung des Goodwill ist ein Unternehmerlohn abzusetzen, der den
individuellen Verhältnissen des Praxisinhabers entspricht. Der Unternehmerlohn hat
insbesondere der beruflichen Erfahrung und der unternehmerischen Verantwortung
Rechnung zu tragen sowie die Kosten einer angemessenen sozialen Absicherung zu
berücksichtigen.“ BGH, Urteil vom 02.02.2011 – XII ZR 185/08

als (vereinfachtes) Beispiel:

Bruttolohn (gemessen an der Berufserfahrung, Leistung und Qualifikation des Arztes)         80.000 EUR

+ Zuschlag primäre Altersversorgung 20%                                                                                16.000 EUR

+ zusätzliche Altersversorgung 4 %                                                                                                3.200 EUR

Zwischenergebnis                                                                                                                              99.200 EUR

+ Zulage für Unternehmensrisiko („Chefzulage“) 15%                                                                14.880 EUR

Unternehmerlohn                                                                                                                                114.080 EUR

Der zuvor dargestellte Unternehmerlohn wurde anhand einer Arbeitszeit von 40
Wochenstunden errechnet. Wie auch bei der Bemessung der Umsatzprognosen (vgl. oben)
ergibt sich bei einer kürzeren Wochenarbeitszeit auch ein dementsprechend geringeres
Entgelt. Dies sowie weitere Faktoren wie bspw. die geographisch differierenden Lohnniveaus
sind in der Kalkulation zu berücksichtigen.

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Ertragssteuer

Zur Berechnung des nachhaltigen Reinertrages (vgl. im Folgenden) ist vom ermittelten
Gewinn/Ertrag ebenso die Ertragssteuer zu subtrahieren, da maßgebliche
Berechnungsgrundlage nur der Netto-Reinertrag ist. Erörtert werden soll ja gerade, was am
Ende eines Wirtschaftsjahres an Gewinn beim potentiellen Erwerber voraussichtlich „hängen
bleiben wird“. Die Ertragssteuer beträgt ca. 35 % des verbleibenden Gewinns.

Praxisbewertung

Nachhaltiger Reinertrag

Aus den zuvor genannten Positionen Überschüsse, Unternehmerlohn und Ertragssteuer ergibt
sich der nachhaltige Reinertrag.

Beispielhaft dargestellt:

                                                                            Praxis A                                                         Praxis B

Umsatzprognose                                              500.000,- EUR                                                 700.000,- EUR

./. Kostenprognose                                          260.000,- EUR                                                 340.000,- EUR

= Praxisgewinn                                                 240.000,- EUR                                                 360.000,- EUR

./. Unternehmerlohn                                        110.000,- EUR                                                  110.000,- EUR

= Ertrag (vor Steuern)                                     130.000,- EUR                                                  250.000,- EUR

./. Ertragssteuer                                                   45.500,- EUR                                                    87.500,- EUR

= Nachhaltiger Reinertrag                                 84.500,- EUR                                                   162.500,- EUR

Multiplikator/ Rentenbarwertfaktor

Sich wiederum am Reproduktionsgedanken orientierend ist nunmehr zu ermitteln, welche Zeit
es in Anspruch nehmen würde, um eine vergleichbare Praxis wie das Bewertungsobjekt
aufzubauen. Dieser in Jahren zu bemessende Zeitraum dient dann als Multiplikator, um vom
zur vor ermittelten nachhaltigen Reinertrag auf den GoodWill der Praxis schließen zu können.

Der (Ergebnis-)Zeitraum ist das Produkt aus unternehmensbezogenen (innerbetriebliche /
mikroökonomische Daten) sowie volkswirtschaftlichen Basisdaten (makroökonomische
Daten), kurzum:

                                               EZ  UBFaktor x VBFaktor

EZ = Ergebniszeitraum

UBFaktor = Unternehmensbasisdaten-Faktor/Mikroökonomischer Faktor

VBFaktor = Volkswirtschaftsbasisdaten-Faktor / Makroökonomischer Faktor

Der so ermittelte Ergebniszeitraum ist dann in einem letzten Schritt mit dem sog. Kalkulations-
/Kapitalisierungszinssatz zu diskontieren, um den tatsächlichen (auf den Bewertungsstichtag
bezogenen) Barwert der für die Zukunft vorausgesagten Gewinne der Praxis zu erhalten.

Mikroökonomische Faktoren (UB-Faktor)

Zur Ermittlung des UB-Faktors sind die unternehmensspezifisch relevanten Einzelfaktoren
festzulegen und auf eine gleichwertige Basis umzurechnen, was im Regelfall die Anzahl der
sich aus den mikroökonomischen Gegebenheiten ergebenden Jahre ist. Der durchschnittliche
Wert aller Faktoren bildet schlussendlich den Wert des mikroökonomischen Faktors ab, wobei
sich anhand bereits erfolgter Bewertungen von Arztpraxen aus der Vergangenheit ein
allgemein anerkanntes Maximum von 6 Jahren herausgebildet hat; die Wertigkeit der
einzelnen Faktoren bestimmt, wie sehr der UB-Faktor an das Maximum heranreicht.

Zu den wesentlichen Einzelfaktoren gehören insbesondere:

– die Anzahl der Praxisinhaber

– die Anzahl angestellter/behandelnder Ärzte

– Anzahl der Spezialisierungen und Grad der jeweiligen Spezialisierung

– der Anteil des Privatpatientenumsatzes

– das Verhältnis der Fallzahlen der Praxis zum Durchschnitt der jeweiligen Fachgruppe.

Auch weitere Faktoren wie bspw. die Altersstruktur der Patienten können im Einzelfall von
Bedeutung sein. Ob weitere Faktoren essentiell sind und wie diese sowie die bereits
grundlegend wichtigen Faktoren zu bewerten sind ist abermals Auslegungssache; des
Weiteren sind auch wiederum komplizierte, für den Laien kaum verständliche
Umrechnungsmethoden für die Ermittlung der einzelnen Faktoren erforderlich.

Makroökonomische Faktoren (VB-Faktor)

Zu den rein unternehmensprägenden Faktoren sind zusätzlich auch die des Marktumfeldes
der Praxis zu betrachten. Je nach Ortslage und den damit zusammenhängenden weiteren
Gegebenheiten ergeben sich regelmäßig gewichtige Zu- oder Abschläge. Auch der BGH
fordert gemäß seiner Urteilsbegründung (Az.: XII ZR 40/09), dass der Standort, die Art und
Zusammensetzung des Patientenstamms, der Konkurrenzsituation und ähnliche Faktoren bei
der Bewertung einer Praxis Berücksichtigung zu finden haben. Offen gelassen hat der BGH
jedoch, wie genau die einzelnen Faktoren in die Bewertung des konkreten Falls einzubeziehen
sind; die Gewichtung und Berechnung verbleibt somit auch hier in der Hand des jeweiligen
Gutachters.

Als den VB-Faktor beeinflussende Faktoren gelten:

– das Durchschnittalter der Bevölkerung

– das Bevölkerungswachstum/ -entwicklung

– die Bevölkerungsdichte (Einwohner pro qkm)

– das Einkommen der Bevölkerung in Bezug auf die Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG)

– der Kaufkraftindex

– die Arbeitslosenquote

– Haushalte mit Kindern

– bereits niedergelassene Ärzte (Konkurrenzsituation)

– u.s.w.

Die einzelnen Faktoren werden auf einer Skala von 0 bis 2 anhand der Postleitzahlposition
bewertet, welche der Praxisstandort innerhalb des ganzen Bundesgebietes einnimmt. Hat das
jeweilige Gebiet im Vergleich zu den anderen einen entsprechend hohen Kaufkraftindex, so
erhält dieser Faktor einen entsprechend höheren Wert. Grundsätzlich besteht auch die
Möglichkeit, einzelne Werte aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für die jeweilige Praxis
stärker zu gewichten. So mag ein entsprechend höheres Durchschnittalters gerade von Vorteil
für eine geriatrische Praxis sein, wohingegen für eine Kinderarztpraxis dies vielmehr einen
Nachteil darstellen würde; dieser Umstand scheint in Bezug auf das Bewertungsobjekt letztlich
auch ausschlaggebender als bspw. die Arbeitslosenquote zu sein.

Weitere Umstände haben darüber hinaus ebenso Beachtung zu finden: Während sich also
bspw. der Patientenstamm einer regulären Praxis aus der umliegenden Bevölkerung
zusammensetzt, so spielt die Ortslage bei hochspezialisierten Praxen mit einem über das
eigene PLZ-Gebiet hinausreichenden Einzugsbereich eine weitaus geringere Rolle.
Der durchschnittliche Wert aller herangezogenen Faktoren bildet schließlich wiederum den
VB-Faktor.

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Kalkulations-/Kapitalisierungszinssatz

Der sich aus UB- und VB-Faktor erschließende Ergebniszeitraum ist nun in einem letzten
Schritt zu diskontierten, um den Barwert der prognostizierten Zukunftsgewinne der Praxis zu
bestimmen. Hierzu ist der Kalkulations- bzw. Kapitalisierungszinssatz zu ermitteln und auf den
Ergebniszeitraum anzuwenden.

Der Kalkulations-/Kapitalisierungszinssatz dient der Abzinsung des zukünftigen Erfolges auf
den Tag der Bewertung. Dieser Zinssatz wird nach dem Opportunitätskostenprinzip aus der
optimalen alternativen Anlagemöglichkeit des Erwerbers abgeleitet. Wird der Erwerb
vollzogen, verzichtet der Erwerber in der Folge auf die Rückflüsse aus einer alternativen
Anlage. Die entgangene Rendite der Alternativanlage entspricht den Opportunitätskosten des
Erwerbers.

Bei einem Kalkulationszinssatz handelt es sich selten um einen exakten Zins, sondern
vielmehr um eine Zinsspanne, durch welche sich verschiedene Situationen und mögliche
Szenarien einbeziehen lassen. Besagter Zinssatz setzt sich aus einem Basiszins sowie einem
Risikozuschlag zusammen. Der Basiszinssatz wird anhand erstrangiger festverzinslicher
Alternativ(kapital)anlagen festgelegt (bspw. aus der Umlaufrendite der monatlichen Berichte
der Bundesbank), der Risikozuschlag trägt den Unwägbarkeiten einer Investition in eine
Arztpraxis Rechnung.

Entsprechend der Kapitalkostenempfehlung des Fachausschusses für
Unternehmensbewertung u. Betriebswirtschaft des IDW (kurz FAUB) aus Oktober 2019
beträgt die Marktrisikoprämie vor persönlichen Steuern auf 6 – 8 %. Da für die Ermittlung
objektivierter Unternehmenswerte grundsätzlich der Einfluss persönlicher Steuern der
Anteilseigner zu berücksichtigen ist, erfolgte vor dem Hintergrund des geltenden
Abgeltungssteuersystems eine Überleitung zu einer Risikoprämie nach persönlichen Steuern,
welche auf eine Bandbreite von nunmehr 5 – 6,5 % festgelegt worden ist.

Der Kapitalisierungszinssatz errechnet wie folgt:

Basiszinssatz                                            2,500 % (Stand Juni 2023)

./. Persönliche Steuern                          26,375 % – 0,264 %

Basiszinssatz nach Steuern            2,236 %

+ Risikozuschlag nach Steuern*             5,75 % (mittlere Marktrisikoprämie)

——————————————————————————————-

Kapitalisierungszinssatz                 7,986%

* Der Risikozuschlag wurde hier mit der Marktrisikoprämie gleichgesetzt. Grundsätzlich
wäre die Marktrisikoprämie noch mit einem sogenannten Betafaktor zu multiplizieren,
welcher das ungefähre Risiko der jeweiligen Branche des zu bewertenden
Unternehmens bemisst. Da der Beta-Faktor jedoch anhand von Börsendaten ermittelt
wird, welche bei nicht-börsennotierten Praxen gerade nicht vorliegen, gestaltet sich
dessen Ermittlung zutiefst kompliziert. Es empfiehlt sich von daher, den Betafaktor
ertragswertneutral mit 1,0 anzusetzen.

Bei einem mittleren (nicht diskontiertem) Ergebniszeitraum von 6 Jahren, einem Basiszinssatz
von 2,5 % und einem Kapitalisierungszinssatz von 7,986 % erhält man letztendlich einen
Multiplikator/Rentenbarwertfaktor von 4,54. Anhand dieses Multiplikators ergeben sich für die
zuvor errechneten Reinerträge der Praxen A und B (vgl. oben):

Praxis              nachhaltiger Reinertrag               Rentenbarwertfaktor                ideeller Wert

A                               84.500,- EUR                                      4,54                               383.630,- EUR

B                               162.500,- EUR                                     4,54                               737.750,- EUR

Fazit zu Multiplikator/Rentenbarwertfaktor

Die Höhe des GoodWills variiert stark aufgrund der mikro- und makroökonomischen Faktoren
der einzelnen Praxis. So kann der GoodWill aufgrund eines niedrigen Multiplikators (< 1)
gar hinter dem zunächst einmal festgestellten Reinertrag zurückzubleiben, kann sich anhand
eines entsprechend hohen Wertes (> 4) ebenso immens steigern.

Im Endeffekt kommt es darauf an, die tatsächlichen Gegebenheiten – mikro- wie
makroökonomische Faktoren – der zu bewertenden Praxis objektiv zu beurteilen und
rechnerisch transparent darzustellen. Eine Praxis in einem „guten“ makroökonomischen
Gebiet (hohe Kaufkraft, für die Praxis günstige Altersstruktur der Patienten, kaum Konkurrenz
usw.) und infolge mit einem entsprechend hohem makroökonomischem Gesamtfaktor wird
dennoch ebenso stark durch ihre mikroökonomischen Faktoren beeinflusst. Dies gilt genauso
umgekehrt: Eine hervorragende mikroökonomische Bewertung führt nicht zwangsläufig zu
einer guten Gesamtbewertung, wenn der Standort der Praxis in einem vergleichsweise
ungünstigen makroökonomischen Umfeld gelegen ist.

Praxisbewertung

Gesamtfazit

Der Gesamtwert einer freiberuflichen Praxis setzt sich aus deren greifbaren materiellen
Werten sowie deren ideellen Werten zusammen. Wie aufgezeigt bestehen bei der Ermittlung
dieser Werte erheblich Hürden sowie ein offenkundig weitreichender Bewertungsspielraum,
weswegen es letztlich doch zu recht abweichenden Ergebnis kommen kann. Nichts desto trotz
ist mit dem modifizierten Ertragswertverfahren eine Methode entwickelt worden, welche die
vorher kaum fassbaren Werte einer Praxis/ eines Unternehmens zu objektivieren ermöglicht.
Dass es für die exakte Ermittlung des Wertes letztlich der Beauftragung eines fachkundigen
Gutachters bedarf, ist in Anbetracht der nicht unerheblichen Kaufpreisspannen dennoch
lohnenswert und nachdrücklich zu empfehlen.

Praxisbewertung

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